Wallhausen, 17.10.2022
Grabanlage Reihengrab (Einzelgrab) Ricardo Schott, Friedhof Wallhausen, Grabfeld N, Grab-Nr. 2
Widerspruch gegen die Beseitigungsverfügung vom 21.09.2022
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Frickinger,
endlich sind Sie da. Wir haben Sie schon sehnlichst erwartet. Meine Frau Theodora und ich wünschen Ihnen einen angenehmen Start als Bürgermeister unserer Gemeinde.
Sie sind jetzt in der Angelegenheit unseres Grabmals, bezüglich unseres Sohnes Ricardo, der neue Ansprechpartner als Bürgermeister, nachdem die Bürgermeisterin Rita Behr-Martin uns bisher als direktes Gegenüber vorstand.
Wir haben hohe Erwartungen an Sie, weil wir Sie als einen dynamischen, modernen und fortschrittlichen Menschen in der Wahlkampfphase erlebt haben. Wir bitten Sie, beenden Sie das Drama der Beseitigungsverfügung durch die Bürgermeisterin Rita Behr-Martin. Die sture Rückwärtsgewandtheit in der Bestattungskultur, die rigorose Ignoranz gegenüber unseren intimen Gefühlen in der Trauerbewältigung und die Ablehnung einer zeitgemäßen Friedhofskultur sind die Eckpunkte des Dramas um die Ablehnung des Grabmals unseres Sohnes.
Die ausführliche Begründung der Ablehnung der Bürgermeisterin vom 21.09.2022 über unseren Nachantrag vom 06.05.2022 ist deren alleinige Entscheidung aufgrund von § 15 der Friedhofsatzung und einer schriftlichen Beschwerde einer Person, die sich beim Besuch auf dem Friedhof durch unsere Grabgestaltung gestört fühlt.
Gegen den Bescheid der Bürgermeisterin Rita Behr-Martin vom 21.09.2022 (postalische Zustellung am 23.09.2022): Gemäß den Rechtsmitteln zum Bescheid der Beseitigungsverfügung erheben wir Widerspruch und beantragen die Erstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs.
- Widerspruch Wir erheben Widerspruch gegen den Bescheid.
- Antrag auf Erstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs
Wir beantragen die Erstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs, damit die figürliche Darstellung auf dem Reihengrab (Einzelgrab), Feld N, Grab-Nr.2, bis zur endgültigen Beschlussfassung des Widerspruchsverfahrens, verbleibt.
- Nachstehend möchten wir die Sachlage nochmals erläutern und gleichzeitig unsere Begründung zum Widerspruch vom 25.02.2022 ergänzen.
Unsere Grabgestaltung verstößt nicht gegen § 15 der Friedhofsatzung, in der die Bezeichnung „Würde des Friedhofs“ genannt wird. Eine Abweichung von der althergebrachten, überkommenen Grabmalgestaltung auf dem Friedhof ist nicht automatisch eine Entwürdigung des Friedhofs. Die farbliche Abweichung und die Größenabweichung der Figur von den üblichen Formen und Farben ist ebenfalls nicht per se eine Entwürdigung des Friedhofs. Genau das ist aber die Logik und Überzeugung der Bürgermeisterin. Diese Argumentation entbehrt jegliche juristische Substanz.
Die Verbraucherschutzinitiative für Bestattungskultur, Aeternitas, (Königswinter), hat unser Grabmal geprüft und als „genehmigungsfähiges Grabmal“ (Zitat: Christoph Keldenich) eingestuft. Wir bitten Sie, diese neutrale und fachliche Bewertung anzuerkennen. Die Gemeinde Langenburg hat sich dazu bekannt „Abschied und Trauer neu zu denken“ und die „einheitliche Grabgestaltung“ ganz abzuschaffen, weil “Menschen ja auch nicht alle gleich sind “, sagt der Langenburger Bauhofleiter Ralph Gruber (siehe Zeitungsartikel, vom 05.08.2022, in der Anlage,). Seit 10 Jahren ist die Gemeinde Langenburg auf diesem Weg. Herr Gruber hat sich bereit erklärt sein Wissen und seine Erfahrung auch in Wallhausen einzu-bringen. Bitte laden Sie Herrn Gruber ein, wir stellen gerne den Kontakt her. Die Gemeinde Gerabronn hat den § 15, „die Würde des Ortes“, auf den die Bürgermeisterin ihre Ablehnung begründet, aufgrund der „sehr unbestimmten“ (Zitat: Bürgermeister Christian Mauch, siehe Zeitungsartikel vom 18.06.2022) Rechtsprechung gestrichen.
Wir leben im 21. Jahrhundert und der gesellschaftliche Wandel in der Friedhofskultur ist eine anerkannte Größe in der Gesellschaft in Deutschland. In Wallhausen ist die Moderne in der Bestattungskultur, die sowohl die Tradition und die Innovation gleichermaßen anerkennt und nicht gegeneinander ausspielt, sondern verbindet, noch nicht angekommen. Jeder Friedhofsbesucher sollte sich an die zeitgemäße Bestattungskultur gewöhnen, auch die Besucherin, die sich beschwert hat.
Nur weil eine Grabgestaltung ungewöhnlich ist und Besucher sich daran stören, ist das kein amtlicher Grund eine Beseitigung anzuordnen (Die Geschmäcker sind nun mal verschieden). Es geht hier nicht um einen Gartenzaun, der falsch gesetzt wurde! Zudem liegt das Grab auf einem Grabfeld ohne Gestaltungs-vorschriften. Es gibt auf diesem Grabfeld keine satzungsgemäße Vorschrift in der Größe und keine satzungsgemäße Vorschrift in der Farbgebung eines Grabmals! Es gibt keine Satzungsvorschrift, dass die Farben auf dem Friedhof ausschließlich von den Pflanzen und Blumen auf den Gräbern kommen müssen und die Grabmale ausschließlich eine graue, sogenannte gedeckte Farbe, aufweisen müssen. Die Aussage der Bürgermeisterin, das Grabmal sticht den Besucher*innen schon beim Betreten des Friedhofs ins Auge, halten wir für persönlich gefärbt und überzogen, weil beim Eintreten in den Friedhof auch gleichfalls „hundert“ andere Grabmale in den umherschweifenden Blick des Besuchers fallen.
Wenn in den genannten Gemeinden eine zeitgemäße Friedhofskultur seit 10 Jahren gepflegt wird, dann ist dies auch in Wallhausen möglich. Sie sind der Bürgermeister, der das möglich macht. Wir sind mit ehrenamtlichem Engagement dabei, Sie zu unterstützen, um die Friedhofskultur in der Gemeinde Wallhausen auf ein zeitgemäßes Niveau zu bringen. Wir, das sind engagierte Bürger, die aus der Unterschriftenaktion zum „Erhalt der Grabgestaltung Ricardo Schott“ hervorgegangen sind und die „Initiative Friedhofkultur Wallhausen“ gegründet haben. Die Unterschriften sind der Widerspruchsbegründung vom 04.03.2022 beigelegt. Meine Frau Theodora und ich, Tobias Dänzer und Rabea Laukenmann stehen dieser Initiative vor. Das Positionspapier der Initiative haben wir an alle Gemeinderäte gesandt und legen es für Sie diesem Schreiben bei. Bitte fördern und unterstützen Sie das Ankommen des Wandels in der Friedhofkultur in Wallhausen. Unsere Kommune steht mindestens 10 Jahre im Rückstand. Siehe Fotos von Grabgestaltungen auf anderen Friedhöfen, in der Anlage. Der Soziologe Dr. Thorsten Benkel, Uni-Passau forscht seit vielen Jahren zum Wandel in der Friedhofskultur. In der Anlage senden wir seinen Forschungsbericht Trauerkultur in der Moderne/ Gesellschaftlicher Wandel des Friedhofs.
Die Moderne ist auf dem Land sichtbar lebendig aber nicht überall. In Wallhausen gibt es viel Bewegung. Es gibt eine neue Kläranlage auf dem neusten Stand der Technik, eine Ladestation für E-Autos und einen abgeschlossenen Internet-Breitband-Ausbau. Auf dem Friedhof bestimmen jedoch weiterhin ideologische Verordnungen und Vorgaben von Gestern, manchmal selbstbestimmt, den Einzug einer zeitgemäßen Bestattungskultur in die Moderne. Warum ist das so? Warum werden Hinterbliebene in ihrer Trauer gegängelt, bevormundet und in Ketten gelegt?
Der Soziologe Dr. Thorsten Benkel beantwortet die Frage als Wissenschaftler präzise und einfach: „Wer, wenn nicht die Angehörigen und Hinterbliebenen, können entscheiden und justieren, was sich aus dem Ensemble denkbarer und praktizierter Trauerhandlungen im individuellen Einzelfall als anschluss-fähig herausstellen wird? Wer, wenn nicht diejenigen, die sich der sozialen Konstruktion ›Trauer‹ und ihrer hintergründigen, ordnungsgebenden Macht aussetzen, sollen definieren können, was unter den Ritualdesignangeboten überkommen, was noch praktikabel und was zukunftsträchtig ist? Pauschalismen sind fehl am Platz, denn sie lähmen die Trauer: sie nehmen ihr das lebendige Entfaltungs-, Gestaltungs- und auch Verdrängungspotenzial. Starre Regelungen haben durchaus ihre funktionsträchtige historische Phase erlebt; die Permanenz des sozialen Wandels ist jedoch das Gegengift wider die institutionelle Selbstgefälligkeit. Wo sich nichts mehr bewegt, herrscht der Tod. Gesellschaftliche Spielregeln, die die Trauer in Ketten legen, verwandeln sie; aus einer lebendigen Empfindung wird eine pauschale Empfindung. Persönliche Perspektiven auf den angemessenen Umgang mit dem Sterben und dem toten Körper, mit dem Abschied und der Erinnerungsstätte sind selbstverständlich manchmal provokant. Sie mögen auf Beobachter deplatziert wirken oder unangemessen oder schlichtweg falsch. Eine unabhängig vom individuellen (und darin eben auch zur Autonomie strebenden) Willen geltende Vorschrift, die dies einschränkt, kann eine Waffe sein, mit der Unbedingtheitsansprüche durchgefochten werden können. So unbedingt aber, dass selbst höchstprivate Empfindungen sich ihr formelhaft unterwerfen müssen, sollte in einer individualitäts-geprägten Gesellschaft keine Norm mehr sein. Ihre Leistung ist ansonsten nicht die Lösung von Problemen, sondern die Erschaffung derselben; sie verdinglicht. Damit will ich sagen: Ohne Autonomie der Trauer ist die Trauer selbst ein Symptom fehlender Lebendigkeit. Dass Trauer nichts Totes, sondern etwas Lebendiges ist, muss in der deutschen Gesellschaft noch gelernt werden“ (aus Autonomie der Trauer, Thorsten Benkel, Nomos Verlag, 2019).
Wird das Recht der freien Grabgestaltung auf Grabfeldern ohne Gestaltungsvorschriften von der Rathausverwaltung gebrochen, dann bricht die Amtsgewalt das Recht. In der Rechtsprechung hierzu hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Urteil vom 16.10.1996 (Az. 1 S 3164/95) den folgenden Leitsatz aufgestellt: „Die aus ästhetischen Gründen erlassene Regelung in einer Friedhofsordnung, wonach bei der Gestaltung der Grabmale Politur unzulässig ist, ist mit dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit in der Regel nur vereinbar, wenn in der Satzung sichergestellt ist, dass solche Grabmale auf einem anderen gleichwertigen Gräberfeld desselben Friedhofs aufgestellt werden dürfen.“
Wenn die Rathausverwaltung das Recht auf unsere freie Grabgestaltung durch § 15 der Friedhofsatzung aushebeln will, dann muss sie sich der objektiven Gerichtsbarkeit des Verwaltungsgerichts unterstellen, der letztendlich darüber entscheiden muss, ob die „Würde des Friedhofs“ durch die professionelle, künstlerische Gestaltungskraft, der Würdigung des Verstorbenen, ein Verstoß ist. Aus unserer Sicht ist die „Würde des Friedhofs“ verletzt, wenn pornografische, satanische, blasphemische, rassistische oder obskure Darstellungen verwendet werden.
Unsere Grabgestaltung hat einen nicht unerheblichen Anteil an unserer privaten und höchst intimen Trauer- und Erinnerungsform um unseren verstorbenen Sohn Ricardo. Jedes Mal, wenn wir den Erinnerungsort auf dem Friedhof besuchen und die Figur unseres Sohnes sehen, kommt Freude auf und die Trauer hat keinen Platz mehr uns zu überwältigen. So geht es auch den Freunden von Ricardo, Familienangehörigen und den Bekannten, die Ricardo vermissen. Wenn das eine Grabgestaltung leisten kann, dann ist diese nicht zu beseitigen sondern zu erhalten. Bei der Grabgestaltung auf dem Friedhof geht es auf der zu nutzenden Fläche von 1m x 2m in erster Linie um die Belange und Bedürfnisse der direkten Hinterbliebenen und nicht vorrangig um die Interessen und Wünsche jeden Besuchers. Diese Reihenfolge vermissen wir seit Beginn der nun schon 8-monatigen Drangsalierung durch die Aktivität der Bürgermeisterin und die Passivität des Gemeinderates.
Die Initiative Friedhofkultur Wallhausen ist im Internet präsent (www.friedhof-kultur.de), um den Wandel in der Friedhofskultur in Wallhausen mit der Öffentlichkeit zu gestalten und als Portal zur Kommunikation zu nutzen. Wir möchten Sie gewinnen auf diesem Portal Ihre Stimme für eine zeitgemäße Bestattungskultur in Wallhausen einzubringen. Dr. Thorsten Benkel hat ebenfalls seine Unterstützung zum Webauftritt zugesagt.
Bitte heben Sie die Beseitigungsverfügung auf und verschonen Sie Wallhausen und alle Beteiligten vor dem unseligen Gang vor das Verwaltungsgericht. Das will sicher niemand wirklich.
Bitte lassen Sie uns gemeinsam für eine fortschrittliche Kommune streiten und Wallhausen, wie in anderen Gemeinden, auf den neusten Stand in der Friedhofskultur bringen. Lassen Sie uns bewusst und gezielt daran arbeiten, neue und flexible Formen der Trauerbewältigung in der Grabnutzung zu ermöglichen, die den Trauernden besser entsprechen. Tabus und erstarrte Normen können durchbrochen werden, damit mehr Freude, Kreativität und Lebendigkeit Einzug halten.
Ihr Grußwort, im Mitteilungsblatt Nr.40, „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger: „Nichts ist so beständig wie der Wandel!“, sagte einmal Albert Einstein“, nehmen wir Ihnen gerne ab. Wir möchten mit Ihnen gemeinsam Zukunft gestalten.
Mit freundlichen Grüßen
Hartmut Schott Theodora Schott
Anlage
- Positionspapier Initiative Friedhofkultur Wallhausen
- HT-Artikel vom 05.08.2022 Abschied und Trauer neu denken Seite 1
- HT-Artikel vom 05.08.2022 Abschied und Trauer neu denken Seite 2
- HT-Artikel vom 18.06.2022 Ohne feste Gestaltungsrichtlinien
- Fotos figürliche Grabmale
- Forschungsbericht Trauerkultur in der Moderne, Dr. Thorsten Benkel